„Viel Potenzial“
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2025
Die vollautomatisierten Digital-Imaging-Systeme der DI-Reihe nutzen modernes maschinelles Lernen für die Analyse des Blutbilds. Möglich wurde diese Innovation im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) durch die Kooperation zwischen Sysmex Japan und den schwedischen Entwicklern von CellaVision.
Seiya Shinabe, Chefingenieur bei der Sysmex Corporation, spricht mit Kent Stråhlén, Produktmanager bei CellaVision, über die Anfänge, die Herausforderungen und die Zukunft der Zusammenarbeit


Sie arbeiten mit CellaVision in Schweden seit den 1990er-Jahren an der Automatisierung der Ausstrichanalyse: Was waren Ihre Ziele bei der Entwicklung des DI-60? Und mit welchen Herausforderungen, wenn überhaupt, waren Sie während der Entwicklung konfrontiert?
SEIYA SHINABE Damals war bereits die Blutanalyse bis hin zur Ausstricherstellung automatisiert. Unser Ziel war es dann, die gesamte Blutuntersuchung inklusive Mikroskopie vollständig zu automatisieren und so die Belastung der Kunden durch manuelle Arbeiten zu verringern.
Eine der Herausforderungen war die Kommunikation zwischen den Teams aufgrund der Entfernung und der Sprachunterschiede, da sich die Entwicklungsbasis von CellaVision in Schweden und unsere sich in Japan befand. In den vergangenen Jahren sind Onlinemeetings zum Mainstream geworden. Aber damals reisten wir hin und her, um von Angesicht zu Angesicht miteinander sprechen und verschiedene Themen intensiv diskutierten zu können. Dank dieses Projekts sind CellaVision und Sysmex heute Geschäftspartner, die sich gegenseitig respektieren.
CellaVision war eines der ersten Unternehmen, das KI in die medizinischen Labors brachte. Wann hat CellaVision zum ersten Mal das Potenzial der künstlichen Intelligenz für seine Anwendungsfälle erkannt?
KENT STRÅHLÉN CellaVision setzt von Anfang an, also seit 1994, KI ein. Tatsächlich entstand das Unternehmen, als unser Gründer Christer Fåhraeus während seiner medizinischen Ausbildung manuelle Diffs durchführte und auf die Idee kam, dies mit einem Computer unter Verwendung künstlicher neuronaler Netze zu automatisieren. Ich kam im Jahr 2000 dazu, als das Unternehmen noch in den Kinderschuhen steckte. Als ich an der Universität arbeitete, betreute ich einen Masterstudenten bei CellaVision und lernte das Unternehmen so kennen. Ich hatte in angewandter Mathematik promoviert und mit medizinischen Bildern gearbeitet. Zu dieser Zeit war CellaVision fast das einzige Unternehmen in diesem Bereich, das sich mit Bildverarbeitung und maschinellem Lernen beschäftigte. Ich war dabei, als das erste Analysegerät verkauft wurde, und habe miterlebt, wie wir uns von einem Unternehmen, das um Finanzmittel kämpfte, zu einem profitablen Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern entwickelt haben.
Cellavision – die KI-Pioniere
Gegründet im Jahr 1994 in Lund, Schweden, ist CellaVision bekannt für Innovationen im Bereich der intelligenten Mikroskopie, die eine stetige Optimierung der Workflows und der diagnostischen Sicherheit in klinischen Labors zum Ziel haben. Seit 2019 ist RAL Diagnostics Teil von CellaVision und ergänzt das Portfolio unter anderem durch hochqualitative Färbelösungen

Wie lange hat es gedauert, die ersten KI-basierten Teile der Software zu implementieren? Was war die größte Herausforderung während dieses Prozesses?
STRÅHLÉN Das erste System wurde 2001 fertiggestellt, aber an der KI wurde von Anfang an gearbeitet. Es gab mehrere Herausforderungen. Die Computer waren nicht so leistungsfähig wie heute. Die KI musste die Aufgabe mit einem „kleineren Gehirn“ erledigen, sie war dümmer. Wir haben herkömmliche künstliche neuronale Netze verwendet. Sie benötigen Merkmale, eine Reihe von Zahlen, die das Bild repräsentieren, darunter die Anzahl der Kernsegmente, die durchschnittliche Farbe des Zytoplasmas, das Vorhandensein von Vakuolen und die Größe der Zellen. Hunderte dieser Merkmale mussten von uns „erfunden“ werden. Wir befragten Anwender, um herauszufinden, wie sie Zellen klassifizieren, und versuchten, deren Antworten in etwas zu übersetzen, das der Computer verstehen konnte. Eine weitere Herausforderung bestand darin, herauszufinden, welche Merkmale nützlich waren und welche nicht. Denn je mehr Merkmale, desto größer das Netz, was wiederum mehr Rechenzeit und mehr Zellen beim Training erforderte.
„CellaVision setzt von Anfang an, also seit 1994, KI ein“
Inwieweit kann die automatisierte Datenanalyse Muster und Trends erkennen, die dem menschlichen Auge möglicherweise entgehen?
SHINABE Das menschliche Auge kann, wenn es geschult ist, selbst die kleinsten Unterschiede erkennen, sodass es für die automatisierte Datenanalyse nicht leicht ist, sie zu übertreffen. Es ist jedoch möglich, dasselbe oder ein annähernd gleiches Niveau zu erreichen. Einer der Vorteile der Automatisierung besteht darin, dass Parameter quantifiziert werden können, was es ermöglicht, Ungleichmäßigkeiten in der Beurteilung zu verringern und die Qualität der Analyse jederzeit stabil zu halten.
Welche Schritte der Bildaufnahme und -analyse werden bei der Verwendung eines DI-60 durch künstliche Intelligenz unterstützt?
STRÅHLÉN CellaVision verwendet eine Art von KI, die üblicherweise als maschinelles Lernen bezeichnet wird. Wie der Name schon ausdrücken soll, geht es darum, einer Maschine – dem CellaVision Analysesystem – beizubringen, Objekte zu erkennen oder zu klassifizieren. Wo das maschinelle Lernen eingesetzt wird, hängt ein wenig von der Plattform ab: Beim DI-60 ist der offensichtlichste Teil die Vorklassifizierung der Leukozyten und Erythrozyten. Weniger bekannt ist, dass auch bei der Fokussierung der Bilder maschinelles Lernen genutzt wird, um den Autofokussierungsprozess zu beschleunigen und so einen höheren Durchsatz der Analysesysteme zu ermöglichen.
Welche Vorteile haben die automatisierte Blutbild- und Musteranalyse für das Labor und den Patienten oder die Patientin?
SHINABE Ganz klar, in den Laboren tragen sie zur Verbesserung der Testqualität und natürlich zur Entlastung der Labormitarbeiter bei.
„Die Welt entwickelt sich kontinuierlich weiter. Also müssen wir darauf vorbereitet sein, um von diesen Trends nicht abgehängt zu werden.“
Seit der Einführung des DI-60 sind mehr als zehn Jahre vergangen, und das System wurde in einer Reihe von Ländern eingeführt, was zu einer verbesserten Effizienz und Standardisierung der Ausstrichprüfung beigetragen hat. Was halten Sie als Entwickler von diesen Erfolgen? Vor welchen Herausforderungen stehen Sie in der Zukunft, um die Blutbildanalyse weiter voranzutreiben?
SHINABE Wir freuen uns sehr, dass der DI-60 überall auf der Welt im Dienst unserer Kunden eingesetzt wird. Das System ist bisher vor allem in Europa und den USA verbreitet. Aber uns ist bewusst, dass es unsere Aufgabe ist, seine Einführung in anderen Regionen in Zukunft weiter voranzubringen. Um dies zu erreichen, müssen wir die Herausforderungen meistern, die mit der weiteren Automatisierung der Blutmorphologietests verbunden sind.
STRÅHLÉN Unsere größte Herausforderung ist, dass sich die Experten einigen, welcher Klasse die KI schwierige Zellen zuordnen soll. Dafür brauchen wir gute Ground-Truth-Daten, also genügend Zellen aller Klassen, darunter auch sehr seltene. Diese stammen wiederum aus Labors, die viele unterschiedliche Färbe- und Probenvorbereitungstechniken verwenden.
Auf dem derzeitigen IVD-Markt ist das Marktumfeld für die praktische Anwendung von KI-Technologien nicht hinreichend förderlich: In den verschiedenen Ländern gibt es keine einheitliche Meinung darüber, wie die entsprechenden Vorschriften für KI umgesetzt werden sollten. Besteht die Möglichkeit, KI in Zukunft bei der Automatisierung der Blutbildanalyse einzusetzen?
SHINABE Ich denke, es gibt viel Potenzial. Wir müssen die Vor- und Nachteile des Einsatzes von KI klären und dann bestimmen, welche Probleme sie für unsere Kunden lösen kann, und das nicht nur in der Blutbildanalyse. Es gibt Herausforderungen bei den Vorschriften, aber wir glauben, dass die Zahl der erfolgreichen Beispiele allmählich zunehmen wird. Die Welt entwickelt sich kontinuierlich weiter. Also müssen wir darauf vorbereitet sein, um von diesen Trends nicht abgehängt zu werden.
Werden neuere Analysegeräte oder Software-Versionen selbstlernend sein?
STRÅHLÉN Dass unsere Produkte bisher nicht mit selbstlernender KI arbeiten, hat zwei Gründe. Erstens war es das Ziel von CellaVision, eine Standardisierung der Differenzialzählung zu ermöglichen. Dabei ist es wichtig, dass alle Analysesysteme unabhängig von Labor und Zeit identisch arbeiten. Zweitens war, wie angesprochen, das regulatorische Umfeld der Medizintechnik eine Herausforderung. Änderungen an der Vorklassifizierungssoftware müssen auf kontrollierte Weise erfolgen, mit vielen Tests und Validierungen. Aber ich bin sicher, wir werden schneller vorankommen, als wir uns das heute vorstellen können.